RAAM 2022 Recap

Ultracycling – das ist, wenn man viel Rad fährt, und auch dann noch Rad fährt, wenn die meisten schon wieder zu Hause sind.
Ultracycling – das ist aber auch, wenn man viel früher vom Rad steigen muss, als man eigentlich geplant hat.

Wenn man sich die Zahlen des diesjährigen Rennens anschaut, ist die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns sogar größer, als die, eines erfolgreichen Finish. Von den 33 Solo-Fahrern, die tatsächlich am Start standen, haben nur 14 – also 42,42 % – das Ziel innerhalb des Zeitlimits erreicht. Ich sollte in diesem Jahr keiner von ihnen sein…

Man könnte also fast meinen, Ultracycling will gar nicht, dass man ins Ziel kommt.

Um überhaupt tatsächlich am Start des RAAM in Oceanside stehen zu können, haben auch meine Crew und ich einigen Aufwand betrieben und schlussendlich fast 2 Jahre Vorbereitungszeit investiert. Dass ein Unterfangen wie das RAAM nicht ohne eine hochmotivierte und vielseitige Crew möglich ist, sollte jedem, der unsere Vorbereitungen und das Rennen verfolgt hat, klar sein. So wie für mich als Sportler die Anspannung in den Wochen vor einer solchen Herausforderung kontinuierlich steigt, war es beruhigend zu sehen, wie sich auch in der Crew die Intensität der Vorbereitungen in den letzten Wochen und Tagen vor dem Rennen kontinuierlich gesteigert hat.

Vorbereitung ist alles

Auch wenn mit meiner Abreise in die USA, ca. 10 Tage vor dem Start das Wichtigste erledigt gewesen sein sollte, wurden Noah, Georg und ich und später auch Martina noch von genügend anderen Themen ins Schwitzen gebracht, als durch die Hitze in Borrego Springs, an die ich mich hier gewöhnen wollte.

Während wir die Woche in der Wüste dafür genutzt haben, durch alle Regeln und Unterlagen zu pflügen, waren die Tage in Oceanside – nachdem es tatsächlich die komplette Crew und irgendwann auch der letzte Karton mit Laufrädern und anderen Teilen für die Begleitautos angekommen war – davon geprägt, alles was wir in die USA geschafft hatten, dort bestellt oder vor Ort im Walmart für nützlich gehalten haben, zu sortieren und irgendwie halbwegs sinnvoll in den drei Fahrzeugen unterzubringen. Dazu gehörten neben drei Rädern samt Ersatzteilen, ca. 46 kg Powerbar, ein ganzer Tisch voller Medizin- und Hygieneartikel, eine große Reisetasche mit Radbekleidung, Helmen und Schuhen, Fahrradträger, Außenlautsprecher und Zusatzbeleuchtung für die Fahrzeuge, eine Massageliege und ein Campingklo auch das, was 10 Leute für ca. 12 Tage Stress benötigen, um 1 Person auf dem Rennrad zu betreuen…

Dass wir dann am Dienstag, den 14. Juni tatsächlich am Start des Race Across America stehen und das Gefühl haben, gut vorbereitet zu sein, ist etwas, auf das meine Crew und ich stolz sein können – auch wenn es keine zwei Tage später schon ganz anders aussah…

The heat is on

Die ersten Stunden laufen nahezu perfekt. Unser Plan von der Betreuung durch das Pace Car, die interne Kommunikation, die Verpflegungsstrategie und der Plan für Pausen und Crewwechsel scheint perfekt zu funktionieren! Nach 3 Schichten à ca. 8 Stunden und jeweils einer kurzen Pause zum Wechseln der Klamotten und einem Teil der Besatzung im Pace Car, ist für die Mittagshitze in der Wüste in Arizona die erste Schlafpause geplant. Es macht definitiv Sinn, die Schlafpause in die Mittagshitze zu legen, auch wenn dafür ein Wohnmobil in der prallen Sonne nicht der ideale Ort ist. Trotzdem sitze ich ein paar Stunden später wieder im Sattel und bin froh, Richtung Sonnenuntergang zu reiten (genau genommen habe ich die Sonne im Rücken…) und die Wüste in Richtung der ersten Berge zu verlassen.

Während der folgende Abschnitt bis zum nächsten planmäßigen Crew-Wechsel in Camp Verde zwar schon schwer ging, was bei nunmehr 36 Stunden Rennzeit und den ersten nennenswerten Anstiegen sowie einem Pass über knapp 2.000 m Höhe erstmal plausibel scheint, sollte es in den nächsten Stunden nicht einfacher werden.

Dünne Luft und kaum Leistung

Der folgende Streckenabschnitt wurde schon aus topografischer Sicht nicht leichter. Es ging nochmals höher in die Berge. Nur leider folgten hier auf die Anstiege so gut wie nie eine Abfahrt, in der man sich auch nur annähernd hätte erholen können. Die kalte, dünne Nachtluft der Höhe und der Rauch der Waldbrände nahe Flagstaff – aufgrund derer uns eine Streckenänderung samt einem Autotransfer bevorstand – brachten nicht mehr genug Sauerstoff in meine Lungen. Während ich anfangs nur etwas Kühle auf meinem Brustkorb spürte und merkte, dass meine Leistung bis zu ca. 20-30% niedriger war, als meine Anstrengung erwarten ließ, ahnte ich bald, dass mein Zustand nicht mehr nur auf die Erschöpfung und die Höhenluft zurückzuführen war. Kurze Pausen und der Wechsel in ein trockenes, etwas wärmeres Trikot brachten zwar nochmal kurz Besserung. Der Autotransfer und die damit verbundene ca. einstündige Pause waren nicht mehr weit entfernt und vom eingeplanten Nickerchen auf der Rückbank des Pace Car habe ich mir einiges versprochen.

Die ca. 50 Meilen bis Winslow, Arizona habe ich auf dem Rücksitz des Pace-Car quasi durchgeschlafen. Aber anstatt gegen die scheinbar kleinen Probleme, den leichten Husten und die röchelnden Atemgeräusche anzugehen, hat sich auch mein Körper zurückgelehnt. Nach der einen Stunde Pause ist mein Körper soweit runtergefahren, dass es erstmal wenig Alternativen gab, als sich in den Camper zu legen und eine kurze Bestandsaufnahme zu machen. Eine Körpertemperatur von ca. 39° C (am exaktesten gemessen mit dem CORE Body Temperature Sensor den ich rund um die Uhr getragen habe), eine zu viel zu hohe Ruhe-Herzfrequenz und eine Sauerstoffsättigung von unter 90% konnten auch durch einen halbwegs stabilen Blutdruck nicht ausgeglichen werden.

Nachdem wir im Weiteren Rücksprache mit unseren Tele-Docs in Deutschland gehalten haben, mit welchen wir uns in der Vorbereitung ausgiebig über mögliche Szenarien ausgetauscht und – noch unter dem Vollbesitz der geistigen Kräfte – das generelle Vorgehen in solchen Situationen abgestimmt hatten, blieb als einzige Alternative eine ausgiebige Erholungsphase. Das Fieber medikamentös zu drücken oder das Wasser aus der Lunge mit Diuretika dem Körper zu entziehen, erschien bereits in dieser Situation als wenig sinnvoll.

Leider hat weder der unruhige Schlaf im Camper, noch die folgende Nacht im Motel wirklich Besserung gebracht.

DNF oder let’s go?

Eigentlich war uns an diesem Morgen, ca. 24 Stunden nach Beginn der Zwangspause, bereits klar, dass es wohl nicht weitergehen wird. Aber weder ich noch meine Crew waren dafür bereit, die Entscheidung, auszusteigen, an dieser Stelle zu treffen.

Wir entschieden uns stattdessen gemeinsam mit den Ärzten in Deutschland dafür, meinen körperlichen Zustand noch in einer Klinik vor Ort überprüfen zu lassen. Dass kein Arzt der Welt – vor allem, wenn er nicht weiß welchen Aufwand die Vorbereitung und Teilnahme bedeutet – einem empfiehlt, das RAAM weiterzufahren, hätte man sich denken können. Dass die Symptome aber eben auch durch die extreme Belastung, die Höhenluft und vermutlich auch durch die keine zwei Monate zurückliegende Corona-Infektion induziert waren, macht die Empfehlung der Ärztin vor Ort, auszusteigen, durchaus plausibel. Schließlich wären all diese Faktoren kaum zu minimieren gewesen – auch wenn ich mich nach nunmehr fast 36 Stunden Pause schon wieder deutlich besser gefühlt habe. Dieser enorme Zeitverlust hätte obendrein aber bedeutet, das Tagespensum sogar noch etwas erhöhen zu müssen…

Somit konnte ich nach eineinhalb Tagen meine Crew von dem trostlosen Parkplatz in Winslow, Arizona erlösen…

Man kann sich auf alle Herausforderungen – bis hin zu diesem Punkt, an dem man sich eben zwischen DNF und let’s go entscheiden muss – vorbereiten und in der Crew Mechanismen planen, anhand derer man zu einer Entscheidung kommt. Der Moment, in dem man da sitzt und das RAAM Headquarter über den Ausstieg informiert wird, und das was auf diesen folgt, gehört irgendwie nicht zu den Themen, denen man im Jahr der Planung viel Raum gibt.

Denn natürlich stellt man nur selten in Zweifel, dass die hohe Wahrscheinlichkeit eines DNF nicht für einen selbst gilt…

Und was jetzt?

Meiner Crew und mir war klar, dass eine direkte Rückreise keine ernsthafte Option darstellt, schließlich mussten die Fahrzeuge an der Ostküste abgegeben werden und die Rückflüge waren von dort aus gebucht. Wie wir die kommenden fast zwei Wochen gestalten würden, wussten wir zu diesem Punkt aber auch nicht…

Die Frage, die sich nun nicht nur mir und meiner Crew stellt, sondern die mir fast in jedem Gespräch über das RAAM gestellt wird – nämlich die nach einem erneuten Start – lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer beantworten. Natürlich ist es so, dass ich das Gefühl habe, dass wir gut vorbereitet waren. Wir haben auch vor Ort in der kurzen Zeit einiges gelernt. Aber was mich persönlich etwas wurmt, ist der Umstand, dass wir quasi keine Möglichkeit hatten, die Probleme zu lösen und die zusätzlichen Herausforderungen – die bei jedem RAAM früher oder später kommen – zu bewältigen. Klar ist zum jetzigen Zeitpunkt nur, dass wir nach zwei Jahren Vorbereitung erstmal Bock auf andere Themen haben. Für einen Start in 2023 könnte man nämlich direkt wieder loslegen….

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